„Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ - so lautet der Titel des offiziellen Siegels, das unsere Schule im September 2021 erhalten hat. Dabei haben es sich vor allem Nastassja Olejak und Henning Debus zur Aufgabe gemacht, die Schülerinnen und Schüler mit verschiedensten Aktivitäten für Rassismus zu sensibilisieren, demokratische Werte zu vermitteln, aufzuklären und ihnen auch eine Diskussionsplattform zu bieten. In den vergangenen Wochen hatten die Schülerinnen und Schüler mehrfach die Gelegenheit, an themenspezifischen Projekten teilzunehmen.
So leise war es in der Aula wahrscheinlich noch nie. Avigdor Neumann, Überlebender des Holocausts, berichtete in einer vom Kreis Jugendring Siegen organisierten Videokonferenz über sein Leben und Aufwachsen während der Herrschaft der Nazis. Die Schülerinnen und Schüler der Einführungsphase und Qualifikationsphase 1 und 2 hörten betroffen zu, als Neumann seine Geschichte mit ihnen teilte. Er kam als Sohn einer wohlhabenden Familie 1931 in Wynohradiw, der heutigen Ukraine, zur Welt. Die Familie wurde 1944 in ein Ghetto umgesiedelt, seinem Vater wurde immer wieder Gewalt angetan, da die Nazis das Vermögen der Familie ausfindig machen wollten. Im Mai 1944 wurde Avigdor Neumann nach Ausschwitz deportiert. Frauen, Kinder und arbeitsunfähige Menschen wurden direkt vergast. Neumann berichtete, dass er Glück hatte, da er älter wirkte und deshalb zu den arbeitsfähigen Männern gezählt wurde. Er bekam Holzschuhe und gestreifte dünne Kleider, seine tägliche Nahrungsration bestand aus 250 Gramm Brot, einem Stück Käse oder Wurst und einem Tee.
„Wir sahen Flammen und es roch nach Fleisch. Die älteren Häftlinge sagten: ,Siehst du, siehst du was das ist, dort deine Familie. Die Flammen, das ist deine Mutter, der Rauch, das sind deine Geschwister.‘ So haben wir angefangen zu verstehen, in was für einem Lager wir waren.“
In Ausschwitz Birkenau wurden jüdische Feiertage zur Auslese genutzt, so Neumann weiter. Sie haben differenziert nach „arbeitsfähig“ und „nicht arbeitsfähig“. Es begann mit Rosch ha Schana, zehn Tage später Jom Kippur. An diesem Tag war er nicht arbeitsfähig und wurde in eine Baracke eingesperrt. Er wartet auf seinen Abtransport, allerdings kam ein SS-Mann in die Baracke und suchte scheinbar willkürlich acht Mithäftlinge aus, die abtransportiert wurden. Avigdor Neumann war nicht dabei. Der dritte Feiertag war Simchat Tora – eine weitere Selektion fand statt. Auch dieses Mal wurde er wieder eingesperrt und wartet auf seinen Abtransport, auch dieses Mal kam kein Transporter.
Als der Winter einsetzte und die Zustände sich aufgrund der dünnen Kleidung und der mangelnden Hygiene verschlechterten, kam am 18. Januar 1945 der Befehl zum Antritt eines Todesmarsches. Neumann und seine Mithäftlinge marschierten über 3 Tage nach Mauthausen. Die Bedingungen im Konzentrationslager Mauthausen waren noch schlimmer. Dort waren sie von Januar bis April. Ein weiterer Marsch bis in einen Wald bei Gunskirchen folgte. Dort lebten sie in einem Zeltcamp. Der Boden, auf dem sie schlafen mussten, war vollständig durchnässt. Dort blieben Avigdor Neumann und die Mithäftlinge bis sie von den Amerikanern befreit wurden.
Nach dem Krieg kehrte er nach Wynohradiw, seine Heimatstadt, zurück und traf auf seine Schwester. Alle anderen Familienmitglieder hatten den Holocaust nicht überlebt. Da die Stadt unter russischer Führung stand, begab sich Neumann über Umwege nach Palästina: „Es war nicht das beste Leben, aber man lebte.“
Am Ende der 90-minütigen Videokonferenz hatten die Schülerinnen und Schüler des JAG die Gelegenheit, Herrn Neumann Fragen zu stellen. Er bot ihnen auch an, ihn jederzeit über Instagram kontaktieren zu können. Die Schülerinnen und Schüler zeigten sich im Nachgang sehr betroffen und waren sich einig, dass der Geschichtsunterricht wichtig ist, dieser ein solches Gespräch jedoch niemals ersetzen kann.
Besuch des Lernlabors „Anne Frank Morgen mehr“
Im Rahmen der diesjährigen Projektwoche am JAG besuchten Schülerinnen und Schüler des Jahrgangs 8 das Lernlabor „Anne Frank Morgen mehr“ in Frankfurt. Am Ende des ersten Beitrags des weltweit bekannten Tagebuchs von Anne Frank steht der Satz „Morgen mehr“, den das Lernlabor zum Motto nimmt. Das Motto soll die Besucherinnen und Besucher dazu anregen, mehr Mut haben, Hassreden entgegenzutreten, mehr Gerechtigkeit zu fordern, mehr zu reflektieren. Themen wie Migration, Flucht, Asyl und auch die Lebensrealität der Jugendlichen spielten beim Rundgang im Lernlabor eine große Rolle. Die Schülerinnen und Schüler aus der 8a und der 8b gingen dabei nicht von Exponat zu Exponat und besuchten eine herkömmliche Ausstellung. Vielmehr ging es um das eigene Erfahren, das Experimentieren, das selbst aktiv werden - all dies wurde im Lernlabor mithilfe von digitalen Spielen, Filmen, Tonspuren und einem digitalen Rundgang durch das Versteck von Anne Frank möglich gemacht. Mit dem Blick durch die „Rassistenbrille“ sollten die Jugendlichen mit speziell präparierten Gläsern die Erfahrung machen, wie ein ganz normaler Mensch durch Vorurteile verzerrt werden kann. So wurde aus dem Studenten ein Gangster und aus dem Mädchen eine Hure. Zuletzt wurden die Schülerinnen und Schüler für die verschiedenen Formen von Diskriminierung im Alltag sensibilisiert. Dabei wurde diskutiert, warum man bis 2020 noch von „Zigeunersoße“ statt Paprikasoße sprach oder woher das Wort „Schwarzarbeit“ kommt.
Projekt „Gegen Hatespeech“
Der Jahrgang 9, der bereits im letzten Jahr das Lernlabor Anne Frank besucht hatte und somit über Vorkenntnisse verfügte, erhielt Besuch von den Siegener Künstlern und Pädagogen Mohammed und Najib El Chartouni. Gemeinsam beschäftigten sie sich mit der Macht von Worten. Differenziert wurde dabei zwischen verbaler Kommunikation und nonverbaler Kommunikation. Dabei haben die Schülerinnen und Schüler auch über eigene Erfahrungen diskutiert und mit schauspielerischen Übungen sicheres Auftreten trainiert. Am Ende des Projekts waren sich alle über eine Botschaft einig: „Leben und leben lassen“.
Projekt „Verschwörungstheorien“
Im Rahmen der Projektwoche haben sich Schülerinnen und Schüler des 10. Jahrgangs mit Verschwörungstheorien und deren Ursprung befasst. Dabei machten sie eine Simulation der folgenden Situation: Sie wurden in das Jahr 2031 versetzt. In diesem Jahr kommt es zu sieben mysteriösen Erdlöchern weltweit mit vielen Todesopfern. Die Menschen haben Angst und suchen nach einer Antwort. Die Schülerinnen und Schüler mussten bei diesem Gedankenexperiment eine Erklärung für diese Katastrophe finden. Ihnen wurden dabei unterschiedliche Rollen zugewiesen und Material bereitgestellt, das sich an Erklärungsansätzen heutiger Verschwörungstheorien bedient. Bei den Erklärungsversuchen wendeten die Schülerinnen und Schüler Mechanismen von Verschwörungstheorien an, um am Schluss eine möglichst glaubwürdige Erklärung abzuliefern. Im Anschluss stellten die Teilnehmenden fest, dass Krisensituationen das Entstehen von Verschwörungstheorien begünstigen und man Informationen immer mit Hilfe von mehreren Quellen und Medien überprüfen sollte.
Führung „Jüdisches Leben in Frankfurt“
Schülerinnen und Schüler der Einführungsphase besuchten im Jüdischen Museum in Frankfurt die Ausstellung zum Thema „Jüdisches Frankfurt 1945 bis heute“.
Die Ausstellung beginnt mit der jüdischen Gegenwart und thematisiert das Wiederentstehen jüdischen Lebens nach der Schoa in persönlichen Geschichten. Immer wieder werden aktuelle Fragen aufgegriffen und in interaktiver Form an die Jahrgangsstufe herangetragen: Wie wollen wir zusammenleben? Wie gehen wir mit Traditionen um? Welche Rolle spielt für uns das familiäre Gedächtnis?
Begrüßt wurden die Schülerinnen und Schüler vor einer virtuellen Wand: wenn man nah genug vor die dort im Video zu sehenden Menschen trat, wurde man von ihnen „direkt angesprochen“.
Auch bildende Kunst spielte in der Ausstellung eine zentrale Rolle. Die dritte Etage umfasst drei Galerieräume mit Gemälden und Zeichnungen. In der zweiten Etage präsentieren wechselnde zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler ihre Werke. In der ersten Etage reflektiert eine Skulptur Empfindungen, die mit Migrationsgeschichten im familiären Rahmen zusammenhängen.
Die Führung endete vor einer Wand mit Fotografien aus heutigen Wohnungen und Häusern von jüdischen Menschen. Gefragt war, was sich von der eigenen Wohnumgebung unterscheide und was man auch bei sich wiederfinde. Mit Hilfe einer Scankarte hatten die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, alles was im Museum nicht im Detail angeschaut werden konnte, zuhause noch einmal nachzulesen, z. B. Briefe der Frankfurter Familie Frank, das Apfelkuchenrezept von Leni Frank oder auch „Standpunkte“ von fünf verschiedenen Rabbinern zu verschiedenen Fragen des alltäglichen Lebens.