Johannes Althusius - sein Leben, sein Denken - ein kurzer Überblick
Johannes Althusius (1563-1638) geriet über Jahrhunderte hinweg in Vergessenheit. Nur wenige Gelehrte an den europäischen Universitäten lasen seine Büchern. Auch in Wittgenstein hatte man den Namen des großen Juristen vergessen. Das sollte am 23. Mai 1953 anders werden. Der Göttinger Rechtswissenschaftler Julius von Gierke meldete sich bei dem Bürgermeister von Berleburg und gratulierte ihm zu dem großen Sohn, den das kleine Dorf Diedenshausen hervorgebracht habe.
Der verdutzte Bürgermeister erfuhr zu seiner großen Verwunderung, dass der ehemalige Dorfbewohner Johannes Althusius bahnbrechende Gedanken in seinen Büchern niedergeschrieben habe, die sogar in die amerikanische Verfassung aufgenommen worden seien. Eine Feierstunde wurde in Diedenshausen angesetzt und Vertreter aus Politik, Schule und Kirche eingeladen. Professor von Gierke hielt einen Vortrag über den berühmten St aats rechtler und eine Gedenktafel wurde enthüllt, die heute rechts neben dem Kirchenportal in Diedenshausen zu sehen ist. Erstmals wurde also an jenem Maitag 1953 der Wittgensteiner Öffentlichkeit Johannes Althusius bekannt. Noch heute erinnert man sich in Diedenshausen gerne an jene Feierstunde, in der der Göttinger Jurist Johannes Althusius abschließend mit folgendem Gedicht ehrte: Er war ein hochgelehrter Jurist, Der frühere Geschichtslehrer und engagierte Kollege Erich Neweling regte einige Jahre später an, dass auch unsere Schule den Namen des großen Gelehrten tragen sollte. 1962 wurde der Vorschlag umgesetzt. Unsere Schule erhielt den Namen „Johannes-Althusius-Gymnasium“. Übrigens gibt es auch noch ein JAG in Emden. Warum, das werden wir gleich erfahren! Das Wichtigste über den Namenspatron unserer Schule, über sein Leben und Wirken, habe ich für ganz eilige Leserinnen und Leser zusammengestellt. 1. Das Leben des Johannes Althusius im Überblick Johannes Althusius wurde als Sohn des Müllers Haus Althaus wahrscheinlich 1563 in Diedenshausen - im heutigen „Schulze-Haus“ - geboren. Das religiöse Profil Wittgensteins, das evangelisch-reformierte Bekenntnis, prägte ihn für sein ganzes Leben. Auch die wie selbstverständlich gepflegte Nachbarschaftshilfe in seinem Heimatort beeindruckte ihn tief. Den Heranwachsenden haben insbesondere zwei herausragende Persönlichkeiten beeinflusst: Graf Ludwig der Ältere von Sayn zu Wittgenstein und der Reformator Caspar Olevian, der als Hofprediger, Theologe und Prinzenerzieher in Berleburg wirkte. Der Graf gewährte dem begabten Schüler und Studenten freigebig Stipendien, der Gelehrte bedankte sich seinerseits mit seinen vielbeachteten Büchern, die er seinem Mäzen widmete. Und es war vermutlich Caspar Olevian, der, inzwischen zum Gründungsrektor der Hohen Schule zu Herborn ernannt, die Berufung des Althusius als Doz ent, später als juristischer Professor an der gräflich-nassauischen Akademie veranlasste. Das war im Jahr 1586, nachdem Althusius im selben Jahr sein Studium in Basel mit der Doktorarbeit „Über die Erbfolge ohne Testament“ abgeschlossen hatte. 1592 wechselte der Jurist an die Hohe Schule zu Burgsteinfurt, er kehrte aber nach einigen Jahren aus dem Münsterland an die Johannea zurück. Aus verschiedenen Gründen wurde die Hohe Schule immer wieder von Herborn nach Siegen verlegt. Dort lernte er Margarete Naurath (Neurath) kennen, heiratete die jungen Witwe und wurde so Mitglied einer angesehenen und einflussreichen Siegener Familie. 2. Johannes Althusius in Herborn (1586 - 1604) In den Jahren 1580 - 1620 übernahmen bedeutende europäische Fürstenhäuser das reformierte Bekenntnis. Es war die Zeit des Aufstiegs des politischen Calvinismus. Die politische Herrschaft und die dynastischen Verbindungen wurden auf dem Grund eines gemeinsamen Bekenntnisses befestigt. Zahlreiche Universitäten und Akademien wurden in jenen Jahrzehnten gegründet oder übernahmen das reformierte Bekenntnis. Darunter auch die Herborner „Hohe Schule“, nach ihrem Begründer, dem Grafen Johann VI von Nassau-Dillenburg (1536 - 1606) auch „Johannea“ genannt. Herborn, europäisch in geographischer Mittelpunktlage, übte auf viele Studenten eine starke Anziehungskraft aus. Im Gründungsjahr 1584 bestand das Kollegium nur aus sechs hauptamtlichen Kräften: zwei Theologen, zwei Juristen, zwei Philosophen, von denen der eine auch medizinische Vorlesungen zu halten hatte. Graf Johann bewies eine glückliche H and bei der Wahl seiner Dozenten. Caspar Olevian, Johann Piscator, Wilhelm Zepper, Johann Heinrich Alsted, Martinus Martinius u.a.m. gehörten zu dem renommierten Kollegium. Die Zahl der immatrikulierten Studenten stieg ständig. 1598 hieß es im Motto zum Vorlesungsverzeichnis: „Schulen sollen Einrichtungen sein, in denen Menschen in rechter Weise auf das Leben in der Gemeinschaft (societas vitae) vorbereitet werden ... Praxis, nicht Theorie ist das Ziel der Studien“. Der Unterricht an der „Johannea“ kon-zentrierte sich also auf den praktischen Nutzen der Lehre, die einseitige Orientierung an literarischer Ästhetik und den Bildungszielen des klassischen Humanismus wurde hingegen abgelehnt. Althusius musste sich bei seiner Berufung 1586 verpflichten, Lehre und Leben nach dem Wort Gottes und den Gesetzen der Schule auszurichten. Die Disziplin und Schulordnung an der „Johannea“ waren streng. Es wurden private Inspektionen (Kontrollen) und öffentliche Zensuren unter den Studenten durchgeführt. Die Dozenten hatten ihre Kollegstunden mit einem lateinischen Gebet zu beginnen und zu schließen. Die Unterrichtssprache war in allen Klassen lateinisch. Bei all dem bot die „Hohe Schule“ sehr viel: Unterricht nach vergleichsweise modernen Konzepten, regelmäßige öffentliche Disputationen, Studium bei international renommierten Professoren und nicht zuletzt die berühmte Druckereiwerkstatt des Christoph Corvinus. Der wohl bekannteste Schüler an der „Johannea“, Johann Amos Comenius, hat viele Vorstellungen seiner Pädagogik und Didaktik in Herborn praktisch erlebt und später in seinen Bü ;chern beschrieben. 3. Johannes Althusius in Emden (1604 - 1638) Am 19. Juli 1604 wurde Althusius Syndicus - eine Art Stadtdirektor - in Emden. Es ist bekannt, dass sein bisheriger Chef, der Graf Johann von Nassau, nicht gerade begeistert war, als sein berühmter Professor den Hut nahm und nach Emden zog, zumal Althusius so manchen Rechtsstreit für seinen Landesvater austrug. Aber Emden war nicht nur unter finanziellem Aspekt bedeutend attraktiver als Herborn, der Gelehrte fand hier Gelegenheit, seine politischen Theorien in die Praxis umzusetzen. Und vermutlich dürfte es in Europa keinen interessanteren Ort als Emden dafür gegeben haben. Emden war damals eine reiche und bedeutende Hafen- und Handelsstadt, das „Venedig des Nordens“ genannt. Zugleich hatte sich dort eine große Asylantengemeinde gebildet, bestehend aus Reformierten, die aus Frankreich, den Niederlanden und England vertrieben worden waren. Emden wurde darum auch das „Genf des Nordens“ genannt. In den letzten Jahren des 16. Ja hrhunderts hatte sich die Stadt unter der Führung des Predigers Menso Alting zu einem Zentrum des Widerstandes gegen den Grafen Enno III, den Landesherrn Ostfrieslands, entwickelt. Die quasi-autonome Stadtrepublik wollte nun weiterhin ihre rechtlichen und fiskalischen Privilegien behaupten und brauchte dazu einen klugen und gewandten Juristen und politischen Repräsentanten. Althusius nahm die schwierige Aufgabe an und war 34 Jahre lang an allen politischen Entscheidungen in Emden beteiligt. Bald war seine Autorität unbestritten, und zwar beim Magistrat, weniger dagegen bei der Stadtbevölkerung und ihrer Vertretung, dem Vierzigerkollegium. Obschon sich der Autor der „Politica“ gegen jede Vermengung von geistlichem und politischem Amt aussprach, ließ sich der Syndicus 1617 in den Emdener Kirchenrat wählen. Althusius war in dieser Doppelfunktion nicht nur über alle geheimen und offenen Angelegenheiten in Emden gut informiert, er konnte auch alle po litischen Entscheidungen, die das bürgerliche, kulturelle und religiöse Leben in der Stadt betrafen, beeinflussen. In der Forschung wurde sowohl Althusius’ standhaft-stoische Haltung in Emden hervorgehoben, als auch seine harten Maßnahmen gegen seine Gegner und die streng calvinistische Reglementierung des öffentlichen Lebens. Die politische Wirksamkeit des Emdener Syndicus wird folglich kontrovers beurteilt. 1603 veröffentlichte Johannes Althusius sein berühmtes Werk, die „Politica methodice digesta atque exemplis sacris et profanis illustrata“. Das heißt: „Politikwissenschaft - methodisch dargestellt und durch heilige und weltliche Beispiele veranschaulicht“. Das Buch wurde in den Jahren nach der Erstveröffentlichung immer wieder nachgedruckt und von dem Verfasser erweitert. Es war enorm einflussreich, aber es geriet auch bald nach seinem Erscheinen auf den päpstlichen Index der verbotenen Bücher. Auswanderer nahmen es hingegen mit in die neuen Kolonien Nordamerikas. Anders als der deutsche Obrigkeitsstaat mussten sich die Vereinigten Staaten von Großbritannien freikämpfen. Und in dieser politischen Situation waren eine Theorie vom Widerstand gegen die Obrigkeit und ein Konzept der Volkssouveränität mehr als willkommen: beides sind die zentralen Themen der „Politica“. Althusius wurde zu ein em der Gründungsväter der amerikanischen Verfassung. Dies ist der geschichtliche Hintergrund, warum Althusius in den USA bekannter ist als hierzulande. Heute gilt sein berühmtes Buch als Grundlagenwerk der Politikwissenschaft. Die 1959 gegründete Johannes-Althusius-Gesellschaft e.V. bemüht sich um eine interdisziplinäre Erschließung des Gesamtwerkes des Gelehrten. Als die „Politica“ erschien, fuhr der Zug der Geschichte gerade in die entgegengesetzte Richtung, hin zum Absolutismus. Sprachen die Staatstheoretiker des Absolutismus den jeweiligen Fürsten die oberste Gewalt als eine von den Gesetzen gelöste Instanz zu, so widersprach Althusius dieser Staatsform und erklärte, dass das zeitlich unbegrenzte und unteilbare Recht der Souveränität in den Händen des Volkes liegt. Althusius warnte, „eine völlig unbedingte, absolute Macht“ wäre „eine Tyrannis“, und er erinnerte, wenn der Herrscher seine Herrschaft vom Volke empfängt, dann ist und bleibt er - ob Fürst, König oder Kaiser - Diener (Minister) des Volkes. Bei einer Rechtsverletzung ist dem Volk darum nicht nur Widerstand erlaubt, sondern sogar geboten. Allerdings dürfen Althusius zufolge nur die „Ephoren“, die Repräsentanten des Volkes, das Widerstandsrecht ausüben. Si e sind dabei an ein bestimmtes Procedere gebunden.
Die Rektoratsrede „Über den Nutzen, die Notwendigkeit und das Alter der Schulen: eine feierliche Ermahnung“ hat Johannes Althusius vor versammelter Hoher Schule im Jahre 1602 oder 1603 gehalten. Die später überarbeitete und stark erweiterte Rede fügte er jeder Auflage seiner „Politica“ bei. Auch der gehobenere rhetorische Stil zeigt an, dass Althusius die Anliegen seiner „Ermahnung“ am Herzen lag. Im Rückgriff auf aristotelische, biblische, huma-nistische und insbesondere calvinische Gedanken entwirft er hier sein Bildungskonzept, das vermutlich auch bei seinen Kollegen Zustimmung gefunden haben wird. Es ist Aufgabe einer guten Politik, Schulen - mit unterschiedlicher Aufgabenstellung - einzurichten und sich für eine qualifizierte Bildung und Erziehungspraxis einzusetzen: „Eine gute Schule ist nämlich Grund und Quell jedes Glücks, ... nichts anderes als eine ganz reiche Gold- und Silbermine“. Die Schule hat als Organ des gesellschaftlichen Lebens eben dem Leben in der Gemeinschaft zu dienen. Die Erziehung in der Schule fördert also das Gemeinwohl und verhilft zu einer politischen Praxis, die an der Erneuerung des gesellschaftlichen Lebens (reformatio vitae) arbeitet. Eine solche Erziehung zu sozialer Verantwortung für das Gemeinwesen schließt die Förderung und Entfaltung des ganzen Menschen (Person) ein. Das gegenseitige Helfen von Lehrern und Schülern, der maßvolle Umgang untereinander, die Selbstdisziplin u.a.m. werden von Althusius immer wieder hervorgehoben. Der Lehrer und Erzieher tritt im Schulalltag nach A lthusius selbstverständlich als nachzuahmendes Vorbild und Modell auf. Der Wittgensteiner Staatstheoretiker setzte sich auch für die Einrichtung von Berufsschulen ein und antwortete damit auf die Erfordernisse seiner Zeit. Die Manufakturen und Gewerbe expandierten, die Berufe spezialisierten sich, neue Berufe kamen auf. „Um für diese Berufe passende und geeignete Symbioten hervorzubringen, dienen Schulen und Werkstätten ... In den Werkstätten jeder Art werden Werkmeister und Handwerker unterwiesen und geschaffen“. |