Beatrix Sophie Achinger, 16 Jahre, über das einwöchige Schnupperstudium an der Universität Siegen.
Die Vorraussetzungen waren denkbar ungünstig:
Jeden Morgen um 5.30 Uhr aufstehen, eineinhalb Stunden Zugfahrt morgens und abends, jedes Seminar und jede Vorlesung protokollieren, das Ergebnis wird benotet. Um es kurz zu machen: Ich hatte nicht viele Erwartungen an mein Schnupperstudium an der Universität Siegen. Ein wenig Abwechslung sollte es sein, inmitten des stressigen Schulalltags einer G8er-Schülerin aus Bad Berleburg. Ein Einblick in das Studentenleben wäre nicht schlecht. Und eine Hilfe für eine der wichtigsten Entscheidungen meines Lebens. Sonst nichts.
Am Morgen des 23. Januar machte ich, Beatrix Sophie Achinger, 16 Jahre, mich zusammen mit 16 Mitschülern des Johannes-Althusius-Gymnasiums auf den Weg nach Siegen. In gewisser Weise war es, als würde mich der Zug in die Zukunft bringen und als sei ich jeden Morgen binnen eineinhalb Stunden um fünf Jahre gealtert. Denn schon lange spielte ich mit dem Gedanken zu studieren. Wer weiß, vielleicht sah ich mir in dieser Woche ja den Trailer für ein späteres Lebenskapitel an.
Am Montag folgte zunächst eine Veranstaltung, in der wir darüber informiert wurden, was es heißt, sich für ein Studium zu entscheiden. Spätestens als wir die gesamten Kosten für ein „Studentenleben“ ausgerechnet hatten, stand meine bisherige Vorstellung auf einem wackeligen Podest. „Bereitschaft zum materiellen Verzicht“ war auf einer Powerpointpräsentation zu diesem Thema aufgelistet. Noch nie hatte ich darüber so genau nachgedacht. Nach einem leicht einschüchternden Anfang in der Weidenauer Straße blieben mir 15 Minuten, um die folgende Vorlesung auf dem Haardter Berg zu erreichen, was mich wesentlich unter Druck setzte. „Nicht weil etwas schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer.“ Dieses Zitat kam mir plötzlich in den Sinn und ich stellte fest, dass der römische Philosoph Lucius Annaeus Seneca vor 2000 Jahren zumindest Humor hatte. Gerade noch erreichte ich die Vorlesung pünktlich.
Während der fünf Tage lernte ich die verschiedensten Bereiche kennen, von Rechtswissenschaften und BWL über Chemie und Philosophie, bis hin zu Musikpädagogik und Kulturwissenschaften.
Ich lernte viel dazu, hörte aber auch überraschend viel Bekanntes. Zu den aufregenden Phasen des Tages gehörte stets die unausweichliche Suche nach dem richtigen Hörsaal oder Seminarraum.
Zwar sind diese in den Siegener Uni-Komplexen gut ausgeschildert und die Universität Siegen selbst - so habe ich mir sagen lassen – vergleichsmäßig überschaubar, doch fühlte ich mich oft, als sollte ich in der Wüste das richtige Sandkorn finden.
Am Ende der Woche sah das schon ganz anders aus. Generell sagte mir die lockere Uni-Atmosphäre, das hohe Maß an Selbständigkeit und Freiheit und der freundliche Umgang zwischen Studenten und Dozenten immer mehr zu. Meine Pausen verbrachte ich oft mit Freunden in der Cafeteria oder der Mensa auf dem Adolf-Reichwein-Campus. Bei einem Blick durch die Fensterfront auf die Stadt Siegen fühlte ich mich wie der Gast eines Fünf-Sterne-Restaurants, selbst die Mahlzeiten waren mit diesem Preis-Leistungs-Verhältnis überraschenderweise nicht weit entfernt davon.
Am Freitagnachmittag stieg ich dann zum vorerst letzten Mal in den Zug zurück nach Bad Berleburg ein. Während ich also wieder um fünf Jahre verjüngte, versuchte ich, meine Gedanken zu sortieren. Die Woche hat mir zweifelsohne einiges abverlangt. Doch was ich auch an Kraft in diese fünf Tage hineingesteckt hatte, das bekam ich vielfach zurück. Denn mein Bild von der schönen, neuen Studentenwelt hatte von Tag zu Tag eine Grunderneuerung erfahren. Ich hatte das Praktikum angegangen um herauszufinden, ob ich mir ein Studium überhaupt vorstellen konnte. Ich bin nach Hause gefahren mit der Gewissheit, dass ich studieren will. Mit meiner Meinung stand ich übrigens nicht alleine da: „Siegen kommt auf jeden Fall in die engere Auswahl“, resümierte der 16-jährige Gerrit Schwan sein Schnupperstudium.
Wenn das der Trailer meiner Zukunft gewesen sein sollte, dann freue ich mich auf meinen Lebensfilm.