Am 75. Ausstellungstag der 100 Tage dauernden d15 fuhren die Kunstschüler*innen des Q2-Grundkurses Ende August kurz vor der ersten Klausurenphase gemeinsam mit Kunstlehrerin Nina Hofmann mit dem Zug nach Kassel. Der letzte Tag, an dem das Schülerticket als 9€-Ticket genutzt werden konnte, führte die Gruppe zu einer der größten Ausstellungen zeitgenössischer Kunst weltweit, die alle fünf Jahre im nordhessischen Kassel stattfindet.
Mit etwas Verspätung gegen kurz vor 10 Uhr am Hauptbahnhof in Kassel angekommen, „lasen“ die Schüler*innen bereits im ersten Kunstwerk – der „Horizontalen Zeitung“ von Dan Perjovschi, der auch die Säulen des Museums Fridericianum als „Kolumnen“ mit weißer Schrift auf schwarzem Grund gestaltete, um die Aufmerksamkeit auf dringliche Themen unserer Zeit zu richten. Vom Hauptbahnhof über die Treppenstraße zum ruruhaus, dem vom für die d15 verantwortlichen Künstlerkollektiv ruangrupa eingerichteten zentralen Treffpunkt, wurde auch ein Blick auf den Obelisk von Olu Oguibe geworfen, der bei der d14 im Jahr 2017 zunächst auf dem Königsplatz stand. Gemeinsam wurden die verschiedenen Etagen des ruruhauses und die dort gezeigten Kunstwerke, z.B. Jan-Hendrik Pelz „An Inner Place“ – 3D-Portraits von durch Krieg oder Terror zur Flucht gezwungenen Menschen - besichtigt, um sich auch einen Eindruck des lumbung-Prinzips zu machen – das größte Kunstwerk laut ruangrupa ist das zu empfindende Gruppengefühl. Als künstlerisches und ökonomisches Modell fußt lumbung auf Grundsätzen wie Kollektivität, gemeinschaftlichem Ressourcenaufbau und gerechter Verteilung und verwirklicht sich in allen Bereichen der Zusammenarbeit und Ausstellungskonzeption.
Auf dem Friedrichsplatz angekommen, fiel den Schüler*innen zunächst auch das Kunstwerk „Pay the Rent“ von Richard Bell auf – es zeigt ein kontinuierlich zählendes LED-Zeichen, das die Schulden der australischen Regierung gegenüber den Aborigines von 1901 bis heute anzeigt. Von dort aus konnten die Schüler*innen mit Stadtplan und Aufträgen ausgestattet knapp drei Stunden individuell die verschiedenen Ausstellungsorte aufsuchen.
Im Fridericianum gab es u.a. auch Gemälde von Richard Bell oder eine spöttische Hommage an die typische Westkunst: Ein Urinal, wie es einst Marcel Duchamp ausgestellt hat, zu bestaunen, sowie die fridskul – ein möglicher Lebensmittelpunkt für die Künstler*innen mit öffentlichen Workshops, Seminaren und Austausch-Formaten sowie einem Schlafsaal und einer Küche. So entsteht ein Raum für Begegnungen, dessen Form sich im Lauf der Zeit aus seiner Nutzung ergibt.
Die Halfpipe inmitten weiterer Kunstwerke in der Documenta-Halle konnte nicht nur von den Ausstellungsbesuchern mit Stiften beschriftet, sondern auch mit Skateboards befahren werden, was auch einige der JAG-Schüler*innen taten. Auch wurden dort u.a. für jeweils zehn Tage insgesamt zehn Ausstellungen zensierter kubanischer Künstler installiert, z.B. in Form von mit Gesichtern bedruckten Stoffmasken auf Kanthölzern. Ihre Sichtbarkeit ist für das Künstlerkollektiv Instar mehr als ein ästhetischer Gewinn, sondern gilt als nachdrücklich politischer Widerstand in einer Gesellschaft.
Die Installation „Return to Sender" des Nest Collective aus Nairobi auf der großen Karlswiese vor der Orangerie zeigt europäischen Elektronik-Schrott und Kleidung, die in Ballen gepresst zurück zum Herkunftsort gebracht und in der Karlsaue deponiert wurden. Eindrückliche Kurzvideos im inneren der Installation thematisierten u.a. das Thema „Identität durch Kleidung“.
Im Ottoneum, an der Fulda, im Museum für Sepulkralkultur, dem Hotel Hessenland oder der Unterführung der Frankfurterstraße/Fünffensterstraße konnten weitere Kunstwerke bestaunt und erlebt werden.
Bereits vorbereitend wurde im Unterricht über die Antisemitismusvorwürfe/-debatte rund um die documenta fifteen gesprochen und dies am Beispiel des Banners „People´s Justice“ der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi erörtert – zunächst zentral auf dem Friedrichsplatz ausgestellt, wurde das Kunstwerk wieder abgebaut. Taring Padis Kunst war aber auch ohne antisemitischen Kontent noch an der C&A-Fassade ausgestellt - in Deutschland, Indonesien, den Niederlanden und Australien fanden im Vorfeld der documenta fifteen Workshops statt – etwa mit Migrant*innen, Straßenkünstler*innen und Schüler* innen. Gemeinsam schufen sie künstlerische Arbeiten zu sozialpolitischen Themen. Darunter sind auch großformatige im postsowjetischen Stil gemalte Banner, wie der an der C&A-Fassade mit dem Schriftzug „Rakyat Demokratik“.
Mit vielen Eindrücken kehrte man am frühen Abend wieder zurück nach Hause und wird sicher noch über das ein oder andere Kunstwerk nachdenken und sprechen.